Krefelder Aufruf

Grundsatzdokument und Gründungsurkunde des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS)

beschlossen auf der konstituierenden Vollversamlung 1999 an der FH Niederrhein

Die generelle Einführung von Studiengebühren steht unmittelbar auf der politischen Tagesordnung. Das kommt einem historischen Einschnitt gleich. In letzter Konsequenz würden wesentliche Ergebnisse der Bildungsreformperiode revidiert und der soziale Grundkonsens in der Bildungspolitik endgültig aufgekündigt. Ungeachtet der Tatsache, daß die neue rot-grüne Bundesregierung von der überwiegenden Mehrheit der Studierenden nicht zuletzt aufgrund der Wahlkampfversprechen beider Parteien, Studiengebühren gesetzlich zu verbieten, ins Amt gewählt wurde, scheint die Bereitschaft dazu innerhalb der offiziellen Bildungspolitik zu erlahmen. Schon stößt in Teilen von SPD, Grünen und Gewerkschaften der Grundgedanke einer privaten, individuellen Beteiligung an institutionellen Kosten des öffentlichen Bildungssystems auf zunehmende Akzeptanz. Erste Einstiege in Studiengebühren – unter welcher verschleiernden Bezeichnung auch immer – sind bereits in mehreren Bundesländern vollzogen (Baden-Württemberg, Niedersachsen, Berlin, Bayern, Sachsen).


In keinem Fall reicht es aus, allein auf verhandlungstechnische und taktische Manöver in bezug auf Regierungen und Parlamente zu setzen. Die Verhinderung von Studiengebühren erfordert vielmehr öffentlichen Druck und eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Funktion des Bildungssystems. Um diese Politisierung der Auseinandersetzung zu befördern, hat sich auf der Grundlage der im folgenden dargelegten politischen Positionen und Forderungen das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) gegründet.

Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen die Krise des Bildungssystems.

  1. Studiengebühren befördern die Privatisierung sozialer Risiken. Bildung wird nicht mehr als ein öffentliches Gut gesehen, dessen Nutzung als allgemeines Recht gilt, sondern als zu erwerbende und zu bezahlende Dienstleistung, mit der jedeR einzelne in sein/ihr „Humankapital“ investiert. In diesem Sinne sind Studiengebühren integraler Bestandteil des neoliberalen Politikmodells, dessen Ziel es ist, außer Bildung auch z.B. Beschäftigung, Gesundheit, Altersvorsorge und andere gesellschaftliche Aufgaben auf den/die einzelne/n abzuwälzen. Deswegen betrifft die Studiengebührendebatte nicht nur Studierende. Sie hat vielmehr eine gesellschaftliche Stellvertreterfunktion, um die Akzeptanz einer generellen privaten Kostenbeteiligung für alle weiterführenden Bildungswege (nach der allgemeinen Schulpflicht) zu erproben und perspektivisch durchzusetzen.
  2. Die sozialen Wirkungen und Steuerungseffekte von Studiengebühren sind gesellschaftlich schädlich. Studiengebühren fördern ein antisoziales und entsolidarisierendes persönliches Bildungsverhalten und verstärken die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit des Wissenschaftssystems. Sogenannte „bildungsferne“ Schichten werden noch stärker von weiterführender Bildung abgeschreckt. Deren Erwerb engt sich auf die traditionelle Normalbiographie (männlich, weiß, deutsch; direkter Übergang Schule/Wehrdienst/Studium) ein.
  3. „Sozialverträgliche“ Studiengebühren kann es nicht geben! Das ist ein Widerspruch in sich. Jede Verkoppelung von Bildungschancen mit der – strukturell ungleichen – privaten Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft reproduziert die entsprechende Ungleichheit in der Bildung. Dieser Ausgangslage kann auch kein noch so ausgefeiltes Darlehenssystem entgegenwirken, wie die Entwicklung des BAföG anschaulich zeigt. Studiengebühren verschärfen daher die soziale Selektionswirkung des Bildungssystems – und verschleiern zugleich die politische Verantwortung dafür.
  4. Die Behauptung, Studiengebühren würden die Entscheidungsposition von Studierenden innerhalb der Institution Hochschule stärken, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Studiengebühren ersetzen Rechts-, Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche durch ein privates Marktverhältnis zwischen Verkäufern und Kunden. Die neue „Freiheit“ der Studierenden wäre daher lediglich negativer Natur. Sie würde sich auf die Möglichkeit beschränken, zwischen Angeboten wählen zu können, auf deren Zustandekommen sie nicht den geringsten Einfluß haben. Wenn etwa Studierende nur noch als KundInnen, nicht mehr als Mitglieder der Universität betrachtet werden, haben sie konsequenterweise auch keinen Anspruch mehr auf selbstverwaltete Strukturen oder Sitz und Stimmrecht in den Hochschulgremien.

Deswegen fordern wir:

  • die grundsätzliche individuelle Kostenfreiheit für alle weiterführenden Bildungswege. Dies bezieht sich nicht nur auf die Ablehnung der direkten Erhebung von Studiengebühren, sondern auch auf alle Modelle von Bildungsgutscheinen und privatem Bildungssparen;
  • das eindeutige gesetzliche Verbot von Studiengebühren im HRG und in den Länderhochschulgesetzen. Dieses Verbot muß sich auch auf Verwaltungs-, Zweitstudiums-, Aufbau-/Ergänzungs-/Erweiterungsstudiums-, Langzeitstudiums- und Promotionsstudiumsgebühren erstrecken;
  • den Ausstieg der Bundesländer aus Modellversuchen, komplementär zu den staatlichen Hochschulen kleine private oder halbprivate Elitehochschulen zu betreiben, die mit umfangreichen öffentlichem Mitteln subventioniert werden und die Infrastruktur staatlicher Hochschulen mitnutzen, aber dennoch erhebliche Studiengebühren verlangen.
  • die grundsätzliche Gleichstellung und gegenseitige Durchlässigkeit allgemeiner, sog. beruflicher und akademischer Bildungswege. Dies erfordert etwa die Abschaffung von privaten Gebühren für Ganztagsberufsschulen und MeisterInnenausbildung.
  • die Umsetzung und Einhaltung des 1973 ratifizierten internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in dem sich die Bundesregierung zur allmählichen Einführung der Unentgeltlichkeit von Hochschulbildung verpflichtet hat (vgl. auch den Passus im Artikel 26 der Menschenrechtsdeklaration der UNO, Dezember 1948).